Burma gerät zusehends in Vergessenheit
Wenn Lewey Zeit hat, blättert er in seinem Lesebuch oder zupft die Saiten der Gitarre. Lewey hat viel Zeit, seit er im Flüchtlingslager Nai Soi im Norden Thailands lebt. Zu Hause in Burma musste er seinem Vater auf dem Reisfeld helfen – wenn die Familie sich nicht gerade tagelang im Dschungel versteckt hielt, weil burmesische Soldaten durch ihr Dorf marschiert sind. " Immer wieder kamen sie ins Dorf und haben unsere Tiere und unser Essen mitgenommen ", erinnert sich der 14-Jährige. " Unsere Leute mussten mit ihnen gehen und beim Tragen helfen. "Durch Zwangsarbeit, gezielte Menschenrechtsverletzungen und gewaltsame Umsiedlung versucht die burmesische Regierung, die ethnische Gruppe der Karenni und anderen im Osten Burmas unter Kontrolle zu halten und von den verschiedenen Widerstandsgruppen zu trennen. Knapp die Hälfte der etwa 200.000 Bewohner des Kayah-Bundesstaates sind inzwischen vertrieben – in staatlichen Lagern oder in abgelegenen burmesischen
Wäldern. Lewey war zehn Jahre alt, als sein Vater sich dazu durchrang, seine beiden Söhne über die Grenze nach Thailand zu schickten. " Er wollte, dass wir hier zur Schule gehen und versprach, später nachzukommen ", erzählt Lewey und klimpert wieder auf der Gitarre, die er selten aus der Hand legt. So gab der Vater die Jungen in die Obhut einer Truppe Karenni-Soldaten. In einer grossen Flüchtlingsgruppe – Lewey schätzt sie auf fast 100 Menschen – marschierten die Jungen eine Woche lang, von morgens bis abends, Richtung thailändische Grenze. " Wir hatten Angst, dass die burmesischen Soldaten uns schnappen oder dass wir auf Landminen treten ", erzählt er. Aber am meisten fürchtete er sich vor den alten, grauen Wesen, die ihnen folgten und sie beschimpften – den Geistern. Die Burmesen sind ein sehr abergläubisches Volk. Je angesehener eine Familie, ein Kronie (Kronie = ein Günstling der Militärs) oder die Machthaber selbst, alle halten sich sogenannten "Nats" (Menschen in mystischer Gestalt), welche, wenn in Trance gefallen, niemand nur geringsten Zweifel an deren Aussagen hegen. Trotz der ungewissen Zukunft war er glücklich, als sie nach einer letzten Flussüberquerung Thailand und das nahe gelegene Flüchtlingslager Nai Soi erreichten.
Denn in allen der neun Refugée-camps sind deren Bewohner zwar in einem geschützten Zufluchtsort vor Menschenrechtsverletzungen der burmesischen Armee, aber zugleich ist dies auch ein Gefängnis für sie: Weil die thailändische Regierung die etwa 143'000 Burmesen, die in neun Lagern entlang der Grenze leben, nicht als Flüchtlinge anerkennt, werden ihnen Flüchtlingsrechte verweigert. Anstelle der Vereinten Nationen unterstehen die Lager dem thailändischen Innenministerium. So dürfen die Bewohner die Camps offiziell nicht verlassen – weder um zu arbeiten, noch um zur Schule zu gehen. Die Menschen sind auf Hilfslieferungen angewiesen.
Hilfsorganisationen verteilen Reis, Bohnen, Speiseöl, Salz, Chili und Kohle zum Kochen, sowie Decken, Schlafmatten und Kleidung. Krankenstationen und Schulen werden vom Gesundheits- und vom Bildungskomitee der Bewohner selbst organisiert, ebenfalls finanziert von Hilfsorganisationen.
Schulbildung hat für alle Bewohner einen hohen Stellenwert. " Wir können unseren Kindern nicht viel bieten. Das einzige, was wir ihnen hier mitgeben können, ist eine gute Schulbildung ", erklärt Nung, Vater von vier Kindern. Auf den staubigen Wegen ist nach Schulschluss kein Kind zu sehen, das nicht den bunten, typischen Wollbeutel über der Schulter trägt, und Nung bestätigt stolz: "Alle Kinder gehen zur Schule! "
" Komm raus, dir passiert nichts! ", riefen die burmesischen Soldaten. Mon Tui konnte nichts machen, sie lag mit Wehen im Bett. Flehend blickte sie ihren Mann an, der stumm neben ihr sass. Dann drückte er fest ihre Hand, küsste sie und ging langsam aus dem Haus. Es war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hat. Wie schon viele andere Männer aus dem Karen-Dorf wurde er verschleppt, gefoltert und schliesslich ermordet.Mit leiser, stockender Stimme erzählt die 27-jährige Mon Tui ihre traurige Geschichte. " Die Rebellen der Karen Resistance Forces (KRF) kamen oft ins Dorf ", erinnert sie sich. " Sie schickten Briefe an den Dorfchef, in denen sie Reis und andere Lebensmittel forderten. Mein Mann musste den Reis einmal ins KRF-Camp bringen. " Vermutlich erfuhr die Armee davon und tötete ihn dafür, dass er die Rebellen unterstützt habe. "Was sollten wir machen, wir Dorfbewohner waren zwischen den Fronten, egal wer kam, wir mussten ihnen helfen ", sagt sie verzweifelt, auf dem Schoss ihre einjährige Tochter, die bald nach der Verschleppung ihres Mannes geboren wurde.
Minenopfer
Die Mönche bezahlten einen Führer und Verpflegung für sie. " Es war schrecklich, auf der Flucht haben wir ständig Schüsse gehört. Immer wieder mussten wir Minenfeldern ausweichen und uns verstecken. " Wegen der Umwege dauerte es eine Woche, bis sie die 40 Kilometer entfernte Grenze erreicht hatten, dann hatte sie es endlich geschafft. Seit vier Wochen sind sie und ihre Kinder jetzt im Flüchtlingslager Mae La nahe der Grenze untergebracht, immer noch im so genannten 'safe center', zusammen mit Waisen, Alten und anderen, die besonderen Schutz brauchen. Wie es weitergehen soll, kann ihr niemand sagen. Trotzdem ist sie dankbar: " Hier ist es viel besser. Einige Nachbarn teilen ihr Essen mit uns, es gibt zwei Mahlzeiten am Tag, und ich kann endlich wieder richtig schlafen. Im Dorf ging das nicht, ich hatte ständig Angst. " Ein kleiner, dreijähriger Knopf mit einem kanariengelben Fussballtrikot kommt in die Hütte gerannt, schmiegt sich an Mon Tui, umarmt eins ihrer Beine. Sie streichelt ihm über den Kopf und lächelt. " Seine Eltern haben sich zerstritten, sind weggegangen und haben ihn hier zurückgelassen. Er ist im 'safe center' ganz alleine, und sagt jetzt Mama zu mir ", erklärt sie uns, auf dem Arm ihre kleine Tochter, neben ihr der siebenjährige Sohn. Klinik im Flüchtlingslager Jeden Tag kommen neue Flüchtlinge aus Burma im Mae La Camp an, die Ähnliches durchgemacht haben wie Mon Tui und ihre Kinder. In den unzähligen Bambushütten und Baracken zwischen grünen Hügeln, schlammigen Fusswegen und kleinen Bächen leben inzwischen über 40.000 Menschen. Sie werden vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen mit dem Nötigsten versorgt und von der thailändischen Regierung geduldet. Aber weil sie sich illegal in Thailand aufhalten werden ihnen viele Rechte vorenthalten - so beispielsweise das Recht auf medizinische Behandlung im staatlichen Gesundheitssystem. Zum Glück gibt es nicht weit vom Mae La Camp, in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot, die Klinik von Dr. Cynthia Maung. Die 44-jährige karenische Ärztin musste selber vor 15 Jahren nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung aus Burma fliehen. Sie mietete ein altes, leer stehendes Haus am Stadtrand und begann dort mit einigen Kollegen, ihre flüchtenden Landsleute ärztlich zu versorgen. " Damals mussten wir improvisieren und haben unsere wenigen, kostbaren Instrumente in einem Reiskocher sterilisiert ", erzählt sie lächelnd. Seit vielen Jahren wird die Ärztin bei ihrer Arbeit unter anderem auch vom deutschen Kinderhilfswerk terre des hommes unterstützt. Inzwischen ist die Klinik auf über zehn Gebäude angewachsen, in denen sich ständig mehr als 400 Menschen aufhalten. Nicht nur Flüchtlinge wie Mon Tui, sondern auch zahlreiche der vielen zehntausend burmesischen Wanderarbeiter in Mae Sot suchen hier ärztliche Hilfe. Die Klinik ist inzwischen in der ganzen Region bekannt, und 2002 wurde Dr. Maung für ihre Arbeit mit dem internationalen Magsaysay-Award ausgezeichnet, der in Asien einen ähnlichen Stellenwert hat wie der Friedensnobelpreis in Europa. Mit ihrer kleinen Tochter an der Hand führt Dr. Maung durch die Klinik: vorbei an der Entbindungsstation, durch das Bettenlager für Schwerkranke in einen Raum, in dem Todkranke - darunter viele AIDS-Patienten - versorgt werden. In der Station für unterernährte Kinder werden abgemagerte Säuglinge gerade mit spezieller Aufbaunahrung gefüttert. Schräg gegenüber in der Augenklinik führt ein japanischer Spezialist regelmässig Augenoperationen durch. Vor dem Gebäude sitzt ein 15-jähriger Junge mit traurigen, dunklen Augen auf einer Mauer. Unter seinem karierten Sarong ragt anstelle des linken Beines ein verbundener Stumpf hervor - eine Mine hat ihm bei der Feldarbeit das Bein zerfetzt. Hinter dem Krankenraum für Minenopfer ist die Prothesenwerkstatt: Hier stehen halb fertige Beine auf Holztischen, daneben Pinsel und Spachtel. Zwei ehemalige Soldaten der Karen National Union, die beide selber eine Beinprothese tragen, fertigen hier die Ersatzbeine für ihre Leidensgenossen. Im Nebenraum stehen ihre zwei Feldbetten, auf einem liegt eine Prothese. " Wir sind gute Techniker, weil wir dasselbe wie die Patienten fühlen ", erzählen sie stolz. Glaube an die Demokratie Besonders wichtig ist Dr. Maung auch die Aus- und Weiterbildung junger Ärzte und Krankenpfleger. " In den mehrmonatigen Kursen lernen sich junge Menschen verschiedenster Herkunft kennen, Karen, Shan, Mon, Thais, Burmesen. Viele von ihnen gehen danach als so genannte Rucksackdoktoren zurück nach Burma. " Einer dieser Rucksackärzte, Monho, lernt und arbeitet schon seit 14 Jahren in Dr. Maungs Klinik. Er ist Mitglied bei der 'All Burma Student Democratic Front' - ABSDF. Seitdem er vor vier Jahren die Weiterbildung zum Rucksackarzt machte, ist er unermüdlich im Einsatz. Mit einem Rucksack voll Medizin und ärztlicher Instrumente zieht er immer wieder los, mitten in die Kampfgebiete. Er kennt die lebensgefährlichen Wege durch die Minenfelder, weiss, wann und wo er sich verstecken muss. Das Risiko ist trotzdem hoch, viele seiner Kollegen sind schon umgekommen. " Ich habe keine Angst ", sagt er lachend. " Ich habe meinen Glauben - an die Demokratie. " Heute versorgen 70 Rucksackdoktoren-Teams von Dr. Maungs Klinik aus etwa 150.000 Menschen in Burma, die sonst keinerlei ärztliche Versorgung hätten. Weder Dr. Cynthia Maung noch Mon Tui glauben, dass sich die politische Lage in Burma schnell ändern wird. Aber sie haben Hoffnung. Sie hoffen auf den Druck der internationalen Gemeinschaft und auf die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Eines Tages, so hoffen sie, wird es ein demokratisches Burma geben, in dem die verschiedenen Völker friedlich zusammenleben. " Ich träume immer noch davon, in meine Heimat zurückzukehren ", sagt Dr. Maung. Bis dahin werden sie und ihre Leute weiter schuften, weiter ihr Leben aufs Spiel setzen. Schon Buddha sprach von 'anicca', der Vergänglichkeit. Sie wissen und hoffen: Nichts dauert ewig. Auch nicht das Leid ihres Volkes. Die Lage in Burma Seit Jahrzehnten tobt im Vielvölkerstaat Burma ein blutiger Bürgerkrieg, der schon bis 500.000 Menschenleben gefordert hat. Nach Schätzungen des US-Aussenministeriums haben 300.000 Menschen das Land verlassen, eine Million sind in Burma auf der Flucht. Rund 30 bewaffnete Gruppen sind an dem Konflikt beteiligt, viele von ihnen gehören zu ethnischen olkseinheiten wie den Shan, Karen, Kachin, Mon oder Wa, die mehr Autonomie fordern. Daneben geht es um die Kontrolle des Drogenhandels - Burma ist zusammen mit Afghanistan der weltweit grösste Exporteur von Rohopium. Lange Zeit führte die Zentralregierung - seit 1960 wird Burma von repressiven Militärregimes regiert - gegen alle bewaffneten Gruppen Krieg. In den 90er Jahren schloss sie dann insgesamt 17 Waffenstillstände, aber keine der Rebellengruppen hat bis heute ihre Waffen abgegeben. Mehr als zehn von ihnen kämpfen immer noch gegen die burmesische Armee, besonders in den Bundesstaaten der Shan und der Karen. Menschenrechtsorganisationen erheben schwere Vorwürfe gegen die Militärregierung und die Armee, es ist von Vertreibung, Folter, Vergewaltigungen, Zwangsarbeit und Gräueltaten gegen ethnische Minderheiten, vor allem in den Gebieten der Karen und der Shan, die Rede. Ausserdem soll die Armee zwangsweise Kinder ab elf Jahren rekrutieren und in ihren Reihen über 60.000 Kindersoldaten haben. Weitere 6.000 Minderjährige dienen bei den verschiedenen Rebellengruppen. Damit gibt es in Burma weltweit die meisten Kindersoldaten. Die Hoffnung vieler Burmesen ist die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, deren Nationale Liga für Demokratie bei den freien Parlamentswahlen 1990 82 Prozent der Stimmen gewinnen konnte. Die Wahl wurde von der Militärjunta nicht anerkannt, Aung San Suu Kyi lange Zeit unter Arrest gestellt. Im Mai 2002 wurde sie freigelassen, das Regime wollte damit die Lockerung der Sanktionen der USA und der EU erreichen. Der erwartete konstruktive Dialog zwischen Militärs und Opposition kam aber bis heute nicht zu Stande.
Bitte unterstützen Sie terre des hommes mit einer Spende bzw. die Kontonummer von Dr. Cynthia Maung kann direkt angefragt werden!
Quelltext u.a. terre des hommes Deutschland e.V. und jonas m lanter
Wäldern. Lewey war zehn Jahre alt, als sein Vater sich dazu durchrang, seine beiden Söhne über die Grenze nach Thailand zu schickten. " Er wollte, dass wir hier zur Schule gehen und versprach, später nachzukommen ", erzählt Lewey und klimpert wieder auf der Gitarre, die er selten aus der Hand legt. So gab der Vater die Jungen in die Obhut einer Truppe Karenni-Soldaten. In einer grossen Flüchtlingsgruppe – Lewey schätzt sie auf fast 100 Menschen – marschierten die Jungen eine Woche lang, von morgens bis abends, Richtung thailändische Grenze. " Wir hatten Angst, dass die burmesischen Soldaten uns schnappen oder dass wir auf Landminen treten ", erzählt er. Aber am meisten fürchtete er sich vor den alten, grauen Wesen, die ihnen folgten und sie beschimpften – den Geistern. Die Burmesen sind ein sehr abergläubisches Volk. Je angesehener eine Familie, ein Kronie (Kronie = ein Günstling der Militärs) oder die Machthaber selbst, alle halten sich sogenannten "Nats" (Menschen in mystischer Gestalt), welche, wenn in Trance gefallen, niemand nur geringsten Zweifel an deren Aussagen hegen. Trotz der ungewissen Zukunft war er glücklich, als sie nach einer letzten Flussüberquerung Thailand und das nahe gelegene Flüchtlingslager Nai Soi erreichten.
Letzter Ausweg
Viele Karenni (Anmerkung "Rote Karens") sehen die Flucht nach Thailand als den letzten Ausweg, insbesondere für ihre Kinder. Denn an einen Schulbesuch in Burma ist für die meisten nicht zu denken. Viele Schulen im Kayah-Staat, wie auch in anderen, wurden von den burmesischen Behörden geschlossen. Ausserdem: Wer ständig aus seinem Dorf flüchten muss, kann nicht regelmässig zur Schule gehen. Obwohl das Lager seit über zehn Jahren besteht, erlaubt die thailändische Regierung nur provisorische Bauten.Denn in allen der neun Refugée-camps sind deren Bewohner zwar in einem geschützten Zufluchtsort vor Menschenrechtsverletzungen der burmesischen Armee, aber zugleich ist dies auch ein Gefängnis für sie: Weil die thailändische Regierung die etwa 143'000 Burmesen, die in neun Lagern entlang der Grenze leben, nicht als Flüchtlinge anerkennt, werden ihnen Flüchtlingsrechte verweigert. Anstelle der Vereinten Nationen unterstehen die Lager dem thailändischen Innenministerium. So dürfen die Bewohner die Camps offiziell nicht verlassen – weder um zu arbeiten, noch um zur Schule zu gehen. Die Menschen sind auf Hilfslieferungen angewiesen.
Hilfsorganisationen verteilen Reis, Bohnen, Speiseöl, Salz, Chili und Kohle zum Kochen, sowie Decken, Schlafmatten und Kleidung. Krankenstationen und Schulen werden vom Gesundheits- und vom Bildungskomitee der Bewohner selbst organisiert, ebenfalls finanziert von Hilfsorganisationen.
Schulbildung hat für alle Bewohner einen hohen Stellenwert. " Wir können unseren Kindern nicht viel bieten. Das einzige, was wir ihnen hier mitgeben können, ist eine gute Schulbildung ", erklärt Nung, Vater von vier Kindern. Auf den staubigen Wegen ist nach Schulschluss kein Kind zu sehen, das nicht den bunten, typischen Wollbeutel über der Schulter trägt, und Nung bestätigt stolz: "Alle Kinder gehen zur Schule! "
Jenseits der Minenfelder - Eine Klinik für Flüchtlinge aus Burma
" Komm raus, dir passiert nichts! ", riefen die burmesischen Soldaten. Mon Tui konnte nichts machen, sie lag mit Wehen im Bett. Flehend blickte sie ihren Mann an, der stumm neben ihr sass. Dann drückte er fest ihre Hand, küsste sie und ging langsam aus dem Haus. Es war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hat. Wie schon viele andere Männer aus dem Karen-Dorf wurde er verschleppt, gefoltert und schliesslich ermordet.Mit leiser, stockender Stimme erzählt die 27-jährige Mon Tui ihre traurige Geschichte. " Die Rebellen der Karen Resistance Forces (KRF) kamen oft ins Dorf ", erinnert sie sich. " Sie schickten Briefe an den Dorfchef, in denen sie Reis und andere Lebensmittel forderten. Mein Mann musste den Reis einmal ins KRF-Camp bringen. " Vermutlich erfuhr die Armee davon und tötete ihn dafür, dass er die Rebellen unterstützt habe. "Was sollten wir machen, wir Dorfbewohner waren zwischen den Fronten, egal wer kam, wir mussten ihnen helfen ", sagt sie verzweifelt, auf dem Schoss ihre einjährige Tochter, die bald nach der Verschleppung ihres Mannes geboren wurde.
Das Dorf der jungen Frau aus dem Volke der Karen - eine der grössten der 135 Ethnien Burmas - lag mitten im riegsgebiet, wo die burmesische Armee seit Jahrzehnten gegen Widerstandsgruppen wie die KRF oder KNU kämpft. Nach der Ermordung ihres Mannes sollte Mon Tui an seiner Stelle Zwangsarbeit für die Armee verrichten. Zunächst konnte sie sich freikaufen, doch die letzten Ersparnisse waren bald verbraucht. Die junge Frau war verzweifelt. In ihrer Not ging sie in ein buddhistisches Kloster und bat um Hilfe. Es blieb nur ein Ausweg: die Flucht über die verminte Grenze nach Thailand.
Minenopfer
Die Mönche bezahlten einen Führer und Verpflegung für sie. " Es war schrecklich, auf der Flucht haben wir ständig Schüsse gehört. Immer wieder mussten wir Minenfeldern ausweichen und uns verstecken. " Wegen der Umwege dauerte es eine Woche, bis sie die 40 Kilometer entfernte Grenze erreicht hatten, dann hatte sie es endlich geschafft. Seit vier Wochen sind sie und ihre Kinder jetzt im Flüchtlingslager Mae La nahe der Grenze untergebracht, immer noch im so genannten 'safe center', zusammen mit Waisen, Alten und anderen, die besonderen Schutz brauchen. Wie es weitergehen soll, kann ihr niemand sagen. Trotzdem ist sie dankbar: " Hier ist es viel besser. Einige Nachbarn teilen ihr Essen mit uns, es gibt zwei Mahlzeiten am Tag, und ich kann endlich wieder richtig schlafen. Im Dorf ging das nicht, ich hatte ständig Angst. " Ein kleiner, dreijähriger Knopf mit einem kanariengelben Fussballtrikot kommt in die Hütte gerannt, schmiegt sich an Mon Tui, umarmt eins ihrer Beine. Sie streichelt ihm über den Kopf und lächelt. " Seine Eltern haben sich zerstritten, sind weggegangen und haben ihn hier zurückgelassen. Er ist im 'safe center' ganz alleine, und sagt jetzt Mama zu mir ", erklärt sie uns, auf dem Arm ihre kleine Tochter, neben ihr der siebenjährige Sohn. Klinik im Flüchtlingslager Jeden Tag kommen neue Flüchtlinge aus Burma im Mae La Camp an, die Ähnliches durchgemacht haben wie Mon Tui und ihre Kinder. In den unzähligen Bambushütten und Baracken zwischen grünen Hügeln, schlammigen Fusswegen und kleinen Bächen leben inzwischen über 40.000 Menschen. Sie werden vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen mit dem Nötigsten versorgt und von der thailändischen Regierung geduldet. Aber weil sie sich illegal in Thailand aufhalten werden ihnen viele Rechte vorenthalten - so beispielsweise das Recht auf medizinische Behandlung im staatlichen Gesundheitssystem. Zum Glück gibt es nicht weit vom Mae La Camp, in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot, die Klinik von Dr. Cynthia Maung. Die 44-jährige karenische Ärztin musste selber vor 15 Jahren nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung aus Burma fliehen. Sie mietete ein altes, leer stehendes Haus am Stadtrand und begann dort mit einigen Kollegen, ihre flüchtenden Landsleute ärztlich zu versorgen. " Damals mussten wir improvisieren und haben unsere wenigen, kostbaren Instrumente in einem Reiskocher sterilisiert ", erzählt sie lächelnd. Seit vielen Jahren wird die Ärztin bei ihrer Arbeit unter anderem auch vom deutschen Kinderhilfswerk terre des hommes unterstützt. Inzwischen ist die Klinik auf über zehn Gebäude angewachsen, in denen sich ständig mehr als 400 Menschen aufhalten. Nicht nur Flüchtlinge wie Mon Tui, sondern auch zahlreiche der vielen zehntausend burmesischen Wanderarbeiter in Mae Sot suchen hier ärztliche Hilfe. Die Klinik ist inzwischen in der ganzen Region bekannt, und 2002 wurde Dr. Maung für ihre Arbeit mit dem internationalen Magsaysay-Award ausgezeichnet, der in Asien einen ähnlichen Stellenwert hat wie der Friedensnobelpreis in Europa. Mit ihrer kleinen Tochter an der Hand führt Dr. Maung durch die Klinik: vorbei an der Entbindungsstation, durch das Bettenlager für Schwerkranke in einen Raum, in dem Todkranke - darunter viele AIDS-Patienten - versorgt werden. In der Station für unterernährte Kinder werden abgemagerte Säuglinge gerade mit spezieller Aufbaunahrung gefüttert. Schräg gegenüber in der Augenklinik führt ein japanischer Spezialist regelmässig Augenoperationen durch. Vor dem Gebäude sitzt ein 15-jähriger Junge mit traurigen, dunklen Augen auf einer Mauer. Unter seinem karierten Sarong ragt anstelle des linken Beines ein verbundener Stumpf hervor - eine Mine hat ihm bei der Feldarbeit das Bein zerfetzt. Hinter dem Krankenraum für Minenopfer ist die Prothesenwerkstatt: Hier stehen halb fertige Beine auf Holztischen, daneben Pinsel und Spachtel. Zwei ehemalige Soldaten der Karen National Union, die beide selber eine Beinprothese tragen, fertigen hier die Ersatzbeine für ihre Leidensgenossen. Im Nebenraum stehen ihre zwei Feldbetten, auf einem liegt eine Prothese. " Wir sind gute Techniker, weil wir dasselbe wie die Patienten fühlen ", erzählen sie stolz. Glaube an die Demokratie Besonders wichtig ist Dr. Maung auch die Aus- und Weiterbildung junger Ärzte und Krankenpfleger. " In den mehrmonatigen Kursen lernen sich junge Menschen verschiedenster Herkunft kennen, Karen, Shan, Mon, Thais, Burmesen. Viele von ihnen gehen danach als so genannte Rucksackdoktoren zurück nach Burma. " Einer dieser Rucksackärzte, Monho, lernt und arbeitet schon seit 14 Jahren in Dr. Maungs Klinik. Er ist Mitglied bei der 'All Burma Student Democratic Front' - ABSDF. Seitdem er vor vier Jahren die Weiterbildung zum Rucksackarzt machte, ist er unermüdlich im Einsatz. Mit einem Rucksack voll Medizin und ärztlicher Instrumente zieht er immer wieder los, mitten in die Kampfgebiete. Er kennt die lebensgefährlichen Wege durch die Minenfelder, weiss, wann und wo er sich verstecken muss. Das Risiko ist trotzdem hoch, viele seiner Kollegen sind schon umgekommen. " Ich habe keine Angst ", sagt er lachend. " Ich habe meinen Glauben - an die Demokratie. " Heute versorgen 70 Rucksackdoktoren-Teams von Dr. Maungs Klinik aus etwa 150.000 Menschen in Burma, die sonst keinerlei ärztliche Versorgung hätten. Weder Dr. Cynthia Maung noch Mon Tui glauben, dass sich die politische Lage in Burma schnell ändern wird. Aber sie haben Hoffnung. Sie hoffen auf den Druck der internationalen Gemeinschaft und auf die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Eines Tages, so hoffen sie, wird es ein demokratisches Burma geben, in dem die verschiedenen Völker friedlich zusammenleben. " Ich träume immer noch davon, in meine Heimat zurückzukehren ", sagt Dr. Maung. Bis dahin werden sie und ihre Leute weiter schuften, weiter ihr Leben aufs Spiel setzen. Schon Buddha sprach von 'anicca', der Vergänglichkeit. Sie wissen und hoffen: Nichts dauert ewig. Auch nicht das Leid ihres Volkes. Die Lage in Burma Seit Jahrzehnten tobt im Vielvölkerstaat Burma ein blutiger Bürgerkrieg, der schon bis 500.000 Menschenleben gefordert hat. Nach Schätzungen des US-Aussenministeriums haben 300.000 Menschen das Land verlassen, eine Million sind in Burma auf der Flucht. Rund 30 bewaffnete Gruppen sind an dem Konflikt beteiligt, viele von ihnen gehören zu ethnischen olkseinheiten wie den Shan, Karen, Kachin, Mon oder Wa, die mehr Autonomie fordern. Daneben geht es um die Kontrolle des Drogenhandels - Burma ist zusammen mit Afghanistan der weltweit grösste Exporteur von Rohopium. Lange Zeit führte die Zentralregierung - seit 1960 wird Burma von repressiven Militärregimes regiert - gegen alle bewaffneten Gruppen Krieg. In den 90er Jahren schloss sie dann insgesamt 17 Waffenstillstände, aber keine der Rebellengruppen hat bis heute ihre Waffen abgegeben. Mehr als zehn von ihnen kämpfen immer noch gegen die burmesische Armee, besonders in den Bundesstaaten der Shan und der Karen. Menschenrechtsorganisationen erheben schwere Vorwürfe gegen die Militärregierung und die Armee, es ist von Vertreibung, Folter, Vergewaltigungen, Zwangsarbeit und Gräueltaten gegen ethnische Minderheiten, vor allem in den Gebieten der Karen und der Shan, die Rede. Ausserdem soll die Armee zwangsweise Kinder ab elf Jahren rekrutieren und in ihren Reihen über 60.000 Kindersoldaten haben. Weitere 6.000 Minderjährige dienen bei den verschiedenen Rebellengruppen. Damit gibt es in Burma weltweit die meisten Kindersoldaten. Die Hoffnung vieler Burmesen ist die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, deren Nationale Liga für Demokratie bei den freien Parlamentswahlen 1990 82 Prozent der Stimmen gewinnen konnte. Die Wahl wurde von der Militärjunta nicht anerkannt, Aung San Suu Kyi lange Zeit unter Arrest gestellt. Im Mai 2002 wurde sie freigelassen, das Regime wollte damit die Lockerung der Sanktionen der USA und der EU erreichen. Der erwartete konstruktive Dialog zwischen Militärs und Opposition kam aber bis heute nicht zu Stande.
Bitte unterstützen Sie terre des hommes mit einer Spende bzw. die Kontonummer von Dr. Cynthia Maung kann direkt angefragt werden!
Quelltext u.a. terre des hommes Deutschland e.V. und jonas m lanter
9. Januar 2009