In Folge des Zyklons 'Nargis' rückt Burma in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.
Was geschieht politisch in Burma?
jonas m. lanter
Der Zyklon 'Nargis, welcher am 3. und 4. Mai über das Delta des Irrawaddy-Flusses über den Mon und den Karen-State (Kayin-State) fegte, stürzte Millionen Menschen in Not und Elend. Hunderttausenden hat er den Tod gebracht und Asiens „Reisschüssel“ buchstäblich auf Jahre hinaus zerstört. Mit einem Schlag steht Burma im Blickpunkt der Welt-Öffentlichkeit. Nicht nur wegen des Ausmasses der Naturkatastrophe, sondern auch, weil das Militärregime des Landes ausländische Hilfslieferungen; außer aus Thailand, dem befreundeten China und Indien, stark einschränkt und damit das humanitäre Desaster noch verschlimmert.
Die Generäle befürchten, der Westen könnte die internationale Katastrophenhilfe dazu missbrauchen, die Opposition im 52-Millionen-Vielvölkerstaat gegen die Militärjunta anzustacheln. Auch deshalb hielten die Generäle am Referendum vom 10. Mai zu einer Verfassung fest, obwohl die 'Irrawaddy-Division' und die 'Rangun-Division' furchtbar unter den verheerenden Auswirkungen des Wirbelsturms leiden. Dort wurde das Referendum lediglich auf den 24. Mai verschoben. Das Ergebnis der 'Volksbefragung' überraschte niemanden: 92 Prozent der 22 Millionen Wahlberechtigten stimmten angeblich mit einem Ja. Die Beteiligung, so wurde offiziell mitgeteilt, lag bei 99 Prozent! Saw Nyan Win, der Sprecher der oppositionellen Liga für Demokratie, NLD. kommentierte: "Dieses Referendum strotzt von Betrug und Fälschungen. Es gab Dörfer, in denen die Behörden die Wahlscheine selber ausfüllten und die Wähler Statisten waren.“
Worüber stimmte das burmesische Volk überhaupt ab? Die Verfassung von 1974 wurde im September 1988 nach einem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand ausser Kraft gesetzt. Ein Jahr später gab sich die Junta den Namen „Staatsrat für Frieden und Entwicklung“; 'SLORC'. Dieser rief 1993 einen aus Regimetreuen bestehenden Nationalkonvent ins Leben und beauftragte ihn, eine Verfassung auszuarbeiten. Dieser Prozess, an dem das Volk nicht beteiligt war, dauerte nahezu 15 Jahre! Anfang April war der in geringer Auflage gedruckte Verfassungstext endlich veröffentlicht worden. Die Absicht war offenkundig: Das Volk sollte über die 457 Paragraphen eines Dokuments abstimmen, dessen Inhalt weiterhin unbekannt bleibt. Die Verfassung zielt, wie nicht anders erwartet werden konnte, auf Verewigung der seit 47 Jahren bestehenden Militärdiktatur. Sie soll mit einem demokratischen 'Anstrich' überzogen werden, damit den Kritikern im In- und Ausland den Wind aus den Segeln genommen und der Weltöffentlichkeit Akzeptanz durch die eigene Bevölkerung vorspielen.
Der Konstitutionsentwurf schreibt fest, dass die Offiziere 56 von 244 Sitzen im Unterhaus und 110 von 440 Sitzen im Oberhaus einnehmen müssen. Diese werden nicht gewählt, sondern von der Armeeführung nominiert. Der Oberkommandierende kann den Ausnahmezustand ausrufen. Die Junta wird eine künftige Regierung direkt kontrollieren und kann alle Posten der wichtigsten Ministerien belegen. Eine Klausel richtet sich gegen die Friedensnobelpreisträgerin und NLD-Vorsitzende Daw Aung San Suu Kyi, ohne sie beim Namen zu nennen. Denn wer mit einem ausländischen Bürger verheiratet ist oder war, darf nicht gewählt werden und kein politisches Amt belegen. Aung San Suu Kyi's war mit einem Engländer verheiratet, der 1999 verstarb. Sie durfte nicht mal an seine Beerdigung. Die Verfassung gewährleistet keine demokratischen Rechte oder Menschenrechte. Sie ist Teil eines im Jahre 2003 vom Militär erstellten siebenstufigen "Roadmap zur Demokratie“ und soll den Weg für Parlamentswahlen im Jahre 2010 ebnen.
Die Streitkräfte mit heute 550 000 Mann unter Waffen halten das Volk seit dem Putsch von General Ne Win im Jahre 1962 mit eiserner Faust an den Zügeln. Ne Win liess alle politischen Parteien verbieten und gründete die "Burmesische Sozialistische Programmpartei“, die einen "burmesischen Weg zum Sozialismus“ proklamierte, in Wirklichkeit jedoch die Militärherrschaft institutionalisierte. Diese wurde allerdings beim Volksaufstand 1988 erschüttert. Die Generäle erstickten den Widerstand zwar im Blut, mussten aber im Jahre 1990 Parlamentswahlen zustimmen. Das Ergebnis fiel vernichtend für die Junta aus: Von 489 Sitzen gingen 392 an die NDL. Darauf hatte das Militär nur eine Antwort: Rückfall in eine der brutalsten Diktaturen überhaupt. Tausende Oppositionelle wurden inhaftiert, gefoltert und verschleppt. Daw Aung San Suu Kyi, die Tochter des Freiheitskämpfers General Aung San und einstige Mitarbeiterin von Uno-Generalsekretär Saw U Thant, setzten sie bis heute unter Hausarrest.
Teil des ungerechten Systems sind permanente Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Sexsklaverei, keine unabhängige Justiz sowie Korruption und Drogenschmuggel. Burma geniesst den traurigen Ruf, zweitgrösster illegaler Opiumproduzent der Welt zu sein. Kein Wunder, dass das Regime angesichts dieser Lage mit Sanktionen belegt wurde und international in die Isolation geriet. Daran änderte auch 1997 der Beitritt zur ASEAN (Assoziation Südostasiatischer Nationen) nichts. Auch ist in Burma die grösste Amphetamin-Produktionsstätte der Welt.
Trotz aller Repressalien wirkt, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, die NLD weiter. Auch Studenten und buddhistische Mönche leisten Widerstand. So im vergangenen Herbst, als Zehntausende in verschiedenen Städten auf die Strassen gingen und gegen die Misswirtschaft der Junta protestierten. Diese liess wiederum ihre Soldaten aufmarschieren, auf die Demonstranten schiessen und Hunderte von ihnen wurden festnehmen. Ausser der NLD gibt es den 'ENC'; den 'Ethnic National Council', welche ebenfalls aus dem Exil arbeiten müssen. Als regimetreu agieren die Nationale Einheitspartei 'NUP' und die Assoziation für Solidarität und Entwicklung, auch Speerspitzen genannt.
Außer dem tiefen Konflikt zwischen den demokratischen Kräften und der Militärdiktatur besteht ein weiterer zwischen den Generälen und den ethnischen Minderheiten. 72 Prozent der Bevölkerung sind Burmesen, neun Prozent Shan, sieben Prozent Karen, vier Prozent moslemische Rohyngias, drei Prozent Chinesen, zwei Prozent Mon und zwei Prozent Inder und die anderen 132 ethnischen Völker. Viele von ihnen verlangen, teils mit bewaffneten Aufständen, weitgehende lokale Autonomie. Doch der „Staatsrat für Frieden und Etnwicklung“, die 'SPDC', will die Macht nicht teilen und alles zentral bestimmen; „Staatsvereinheiligung“; so wie sie es nennen.
Der innen- und aussenpolitische Kurs von General Than Shwe, der seit 1992 Staats- und Armeechef ist, hat nicht zuletzt die sozialökonomische Misere ständig verschärft. 37 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Das oft als Asiens „Reisschüssel“ bezeichnete Agrarland – auf 60 Prozent der Ackerfläche wird Reis angebaut; der größte Teil davon im Irrawaddy-Delta – ist unter die am wenigsten entwickelten Staaten der Welt eingestuft, obwohl es über Erdgas und andere Bodenschätze, Wasserkraft, Holz aber auch über Erdöl und Edelsteine verfügt und viele touristische Sehenswürdigkeiten bietet. Seine Auslandsverschuldung liegt bei sieben Milliarden Dollar, die Inflationsrate bei 40 Prozent, die Arbeitslosenrate bei angeblichen fünf Prozent. Die Kindersterblichkeit liegt bei 59 von 1000 Geborenen, die durchschnittliche Lebenserwartung 57 Jahre. Und das alles im 60. Jahr der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht. Wahrlich kein Ruhmesblatt für die Herrscher in Uniform.
19. Juni 2008